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Der Vater der Tigerente - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ein Bär in Pantoffeln, im ausgestrecktem Arm hält er eine helle Kerze. Man erkennt ihn mühelos, wenn man irgendwann seit den Siebzigern ein Kind gewesen ist oder ein Kind groß gezogen hat. Und auch wer sich nur in WG-Küchen bewegt hat, kennt Postkarten mit dem Bären, seinem Freund, dem kleinen Tiger, oder beiden zur Genüge. Hier aber, auf dem Kerzenbild, fehlen all die herzwärmenden Aufschriften, die damals „einen schönen Kuss von mir“ zum Geburtstag versprachen oder „Lach doch mal!“ vorschlugen. Statt dessen liest man auf dem Blatt: „Jedoch als ich lange lange in das hehre Licht der Ewigkeit geblickt hatte, befiehl mich das grosse begreifen oh jeh.“

Unsicher sind da nicht nur Orthographie und Schreibhand, unsicher ist dieser Bär vom Kopf bis zu den Klauen. Ob der leergefegte Hintergrund seine horizontalen Kratzer der Verzweiflung des Tieres verdanken, das mit dem „grossen begreifen“ geschlagen ist? Und wie geht das mit der heiteren, von Grundvertrauen geprägten Welt von „Oh, wie schön ist Panama“ zusammen?

Der Gliwi und der Globerik

Dass Janosch, der international bekannte Kinderbuchautor und Illustrator, geboren heute vor neunzig Jahren in Schlesien und seit Jahrzehnten in Teneriffa zuhause, ein Werk aufzuweisen hat, das nicht vollständig in den Arbeiten für junge Leser aufgeht, wird oft durch den gigantischen kommerziellen Erfolg der Bücher und Merchandising-Artikel aus dem Tigerenten-Kosmos verstellt. Sogar die Anfänge von Host Eckert, der sich in den sechziger Jahren den Künstlernamen Janosch gab, als Kinderbuchautor sind davon überschattet – fabelhafte Bilderbücher wie „Das Apfelmännchen“ oder die Comics um „Der Gliwi und der Globerik“ sind inzwischen kaum noch präsent – von Janoschs Illustrationen zu anderen Autoren ganz zu schweigen.

Eine Ausstellung in der Tübinger Galerie Art28, die aus Anlass des runden Geburtstags heute eröffnet wird, erweitert den Blick mit über vierhundert Werken, die teilweise erstmals gezeigt werden, ganz erheblich: Neben die Illustrationen seiner Kinderbuchklassiker treten freie Arbeiten wie Blumen-Stillleben und Landschaften, neben Kalenderblättern oder den Bildern für seine inzwischen beendete „Herr Wondrak“-Kolumne im „Zeitmagazin“ hängen Ölbilder, Aquarelle und Radierungen, die weit weniger zugänglich und bisweilen kryptisch sind. Sie tragen, weil Text und Bild bei Janosch meist eng verschränkt sind, ins Bild geschriebene Titel. Etwa „Du stellst dich dumm und kaufst mir kein Kleid“, „Von der Seele des Kamels“, was auf den farbigen Schatten des Tiers im Sand einer Wüstenlandschaft gemünzt ist, oder „Eine Dame schenkt Napoleon eine Blume aus dem Garten“: Der Kaiser, zu erkennen an der kleinen Gestalt und dem typischen Hut, streckt grotesk beide Arme nach der Blume aus, und von dem mächtigen Sehnen kippt der Kopf linksherum in die Waagerechte.

Selbstbildlnis von Horst Eckert, der sich später Janosch nannte.

Selbstbildlnis von Horst Eckert, der sich später Janosch nannte. : Bild: Janosch film & medien AG

Die Galerie, die seit Jahren eng mit Janosch zusammenarbeitet, schöpft ersichtlich aus dem Vollen, was zu einer verblüffend umfangreichen Auswahl aus dem Frühwerk des Künstlers führt. Allen voran ist da ein schönes Selbstbildnis von 1956. Der Künstler, jung, ernst und noch ohne Bart, kontrastiert die Längsstreifen seines Hemdes mit den Querstreifen des Hintergrunds. Die Nase ist schnurgerade gewinkelt, das kurze strubbelige kurze Haare und die blauen aufgerissenen Augen wissen nichts von Ironie und schon gar nichts von dem bisweilen etwas aufgesetzten Schalkhaften der späteren Arbeiten.

Damals war Janosch gerade von der Akademie der Bildenden Künste in München aufgenommen worden. Auf einem „Personal-Bogen“ heißt es in der Rubrik „Vorbildung“, der Student sei: „über 1 J. Schlosserlehrling“ gewesen, außerdem „1 J. Spinnerei-Praktikant, 8 Monate Strickerei-Färberei-Praktikant“ sowie fünfzehn Monate „Dessinateur“. Als Berufsziel gibt Horst Eckert „Textil-Entwerfer“ an. Dass er „Flüchtling aus Schlesien“ sei, wird ebenfalls vermerkt.

Bloß keinen Krach mit Vater!

Was für ein Schicksal sich hinter diesen paar Worten verbirgt, von der verlorenen Welt des Kindes über das spannungsreiche Verhältnis mit seinem Vater, darüber hat Janosch in autobiographisch grundierten Texten Auskunft gegeben. In dieser Ausstellung aber tragen seine frühen Bilder zum Verständnis bei. Auf einem in Tübingen ausgestellten Bauernschrank, den Janosch 1980, damals schon berühmt, mit vier Ikonen bemalte, stehen Reproduktionen von Fotos: Janosch als Schüler, im Matrosenhemd, die Augen weit aufgerissen, der Mund ein Strich. Daneben das Hochzeitsfoto der Eltern – der Vater sieht aus, als bekäme man mit ihm lieber keinen Streit. Und der Taufeintrag im Kirchenbuch. Dicht dabei hängt, wie als Kommentar dazu, ein gespenstisches Ölgemälde mit einem winzigen, schemenhaften Kind zwischen den riesigen, übermächtigen Profilen seiner Eltern. Das Kind aber streckt die Arme aus, schreit, wie um sie voneinander abzuhalten. Sonderlich harmonisch sehen die Paare auf diesen Bildern, die Frauen nackt, die Männer im Anzug, nicht aus.

Wirre Träume nach der Hanfsuppe

Wirre Träume nach der Hanfsuppe : Bild: Janosch film & medien AG

In dieser frühen Phase probiert Janosch, der die Akademie rasch verließ, alle möglichen Techniken, er klebt Collagen, malt wüst oder fein, lässt Körper entgleisen oder Hintergründe explodieren und ist erkennbar auf der Suche. Manchmal steht Chagall Pate, manchmal Paul Klee, und dass zu der Ausstellung kein Katalog erschienen ist, bedauert man schon wegen der hier zusammengetragenen Vielfalt sehr – immerhin ermöglicht der prächtig illustrierte Band „Janosch. Leben und Werk“, der gerade im Merlin Verlag erschienen ist, einen guten Überblick über das grafische Schaffen des Künstlers.

Als sich die ersten Figuren und Motive einstellen, die später zu Markenzeichen des Künstlers werden sollten, sind Bär und Tiger noch wenig konturiert in eine verwirrende, bedrängende Welt geworfen. Das ändert sich, wenn es um Bilder aus den Jahren des wachsenden Erfolgs geht, aber nach den frühen Arbeiten nimmt man Janoschs „Panama“-Kosmos noch stärker als souverän gestaltetes Abbild einer Welt wahr, wie sie sein sollte. Auch die Ölbilder scheinen mitunter alle Last abgeworfen zu haben, etwa „Aufstieg der Waldvögel an einem ganz gewöhnlichen Sonntag“, wo die Landschaft sehr wirkungsvoll auf knallfröhliche Farbflächen reduziert ist und die drei Vögel wirken wie leicht beschwipst.

Die Suche nach Wegen, das Unsichtbare zu bannen, geht weiter, das zeigen auf einem Bild jüngeren Datums die wirren Träume nach dem Genuss von Hanfsuppe. Dem hehren Licht der Ewigkeit stehen sie im Kosmos dieses Malers würdig zur Seite.

„90 Jahre Janosch“. Galerie Art28, Tübingen, bis zum 28. August. Kein Katalog.

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