Sie ist ein Star im Rampenlicht der Musicalwelt, er ist ein unter anderem mit dem Oscar ausgezeichneter Meisterregisseur – und ihr Glück endet in München. So zumindest schildert die achtteilige Serie »Fosse/Verdon« über das Leben der Tänzerin Gwen Verdon und des drei Jahrzehnte lang mit ihr verheirateten Regisseurs Bob Fosse die Story der beiden. In einer mehrfach wiederholten Szene sieht man darin, wie während der Dreharbeiten zum Film »Cabaret«, die Anfang der Siebzigerjahre in München stattfanden, die rotbäckig aufgeregte, von einem langen Transatlantikflug erschöpfte Verdon (Michelle Williams) an die Hotelzimmertür ihres Gatten klopft.
Doch die Tür, hinter der Fosse (Sam Rockwell) mit einer anderen Frau im Hotelbett liegt, bleibt zu. Beim Trennungsgespräch sagt die betrogene Ehefrau wenig später den kühlen Satz: »Mach das Licht aus, wenn du gehst.«
Die Serie »Fosse/Verdon«, die nun auf Disney+ zu sehen ist, erzählt die weitgehend historisch verbürgte Geschichte eines glamourösen, dem deutschen Publikum aber nicht unbedingt vertrauten Paares. In acht Folgen voller wilder Zeitsprünge lässt der Serienmacher Steven Levenson eine goldene Zeit des Broadways lebendig werden.
Gedenkminute am Broadway
Verdon war schon eine viel gelobte Tänzerin, als sie den 1927 geborenen Choreografen und Regisseur Fosse Mitte der Fünfzigerjahre bei der Arbeit an einem Musical namens »Damn Yankees« kennenlernte. Sie wurde seine dritte Ehefrau. Im Jahr 1963 wurde Verdons und Fosses Tochter Nicole geboren. 1966 hatten die beiden einen Riesen-Bühnenhit mit »Sweet Charity«. Nach der Trennung 1971 ließ Vernon sich nicht von Fosse scheiden, trat weiter in seinen Shows auf und blieb ihm auch privat verbunden. Fosse drehte vom Publikum und der Kritik oft gefeierte Filme wie »Cabaret«, »All That Jazz« und »Star 80«. Er starb 1987 an einem Herzinfarkt, Verdon im Jahr 2000. Ihr zu Ehren knipste man am Tag ihres Todes auf dem Broadway eine Gedenkminute lang die Lichter aus.
»Fosse/Verdon« beginnt mit einer spektakulären Beschwörung der Künstler- und Partywelt im New York der Sechzigerjahre. In einer langen Kamerafahrt durch das weitläufige Dachapartment der Kleinfamilie spaziert das Mädchen Nicole von einem gut gekleideten, rauchenden und trinkenden Gast zum anderen. Man sieht sich küssende Paare, schöne Künstlermenschen und eifrig diskutierende Intellektuelle. Später laufen Verdon und Fosse, während ihr Kind von Nannys behütet wird, über einen Strand auf Mallorca, diskutieren in Probenräumen und speisen in Restaurants mit dicken Produzenten. Überraschenderweise aber kommt der Musicalfilm »Fosse/Verdon« nahezu ohne große Musicalauftritte aus. Getanzt wird hier fast nur in kleinen Übungs- und Traumsequenzen. Da liegt dann ein vollkommen überarbeiteter Fosse zum Beispiel bäuchlings auf einem Flur der Bavaria-Studios, während ein Hippie-bunt gekleidetes Tanzensemble »Life is a cabaret, old chum« singt und von Flurtür zu Flurtür tobt.
Die filmische Huldigung vergangener Künstlergrößen ist ein beliebtes und, weil die Story im Großen und Ganzen absehbar ist, nur selten spannungsreiches Genre. Der Regisseur David Fincher hat im Film »Mank« gerade ebenso liebevoll wie gemächlich den legendären Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz und das Hollywood der Dreißiger porträtiert – was ihm zehn Oscarnominierungen eingebracht hat.
Untergegangene Künstlerwelt
Mit ähnlicher Zuneigung schildert »Fosse/Verdon« eine Ära, in der New Yorks Musical- und Kaliforniens Filmwirtschaft noch ganz selbstverständlich enge Beziehungen pflegten; eine untergegangene Künstlerwelt, deren Stars sich praktisch von Nikotin, Drogen und Alkohol ernährten und schier pausenlos Sex hatten. Der Regisseur Fosse, der hier in fast jeder Szene und Lebenslage eine Zigarette im Mundwinkel trägt, ist ständig auf der Jagd nach Tänzerinnen und Mitarbeiterinnen, die er zum Beischlaf nötigt. »Tanzen ist ein einziger Beschiss«, sagt seine Gattin lässig – ihre Ehe ist es auch.
Der Reiz von »Fosse/Verdon« entsteht aus der Eindringlichkeit, mit der die für diese Rolle mit einer Emmy-Auszeichnung belohnte Schauspielerin Michelle Williams die Verletzungen Verdons offenbart. Sie ist stets zur Stelle, wenn ihr genialischer Gefährte Hilfe braucht. Doch ihre Fassungslosigkeit, ihre vor Zorn bebenden Lippen, ihr resignierter Blick gelten dem Pfauengebaren eines Kerls, der zwar originelle Ideen haben mag, aber sich übel rücksichtslos benimmt.
Es ist ein kleines Kunststück, wie die Serienmacher in dieser Paarstudie nach und nach den männlichen Helden zerlegen, auch wenn sie in Kindheitsrückblenden halbwegs einfühlsam nach Erklärungen für Fosses gruseliges Verhalten suchen. Das noch größere Kunststück von »Fosse/Verdon« aber besteht darin, Gwen Verdon nicht bloß als Dulderin, sondern als die souverän triumphierende Überlegene in einer langen, katastrophalen und vielleicht sogar exemplarischen Showbiz-Ehe zu präsentieren.
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