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Linda Zervakis, Jan Hofer, Pinar Atalay: Wieso wechseln sie ins Privatfernsehen? - RND

  • Auch Pinar Atalay verlässt die ARD in Richtung Privatfernsehen. Sie steigt bei RTL ein.
  • Es ist schon der dritte prominente Abgang im Team von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“.
  • Jan Hofer zog es ebenfalls zu RTL, Linda Zervakis arbeitet für Pro Sieben. Ist die „Tagesschau“ nicht mehr attraktiv für TV-Stars?

Es war nur ein kleiner Satz, aber er verriet viel darüber, was Linda Zervakis (45) umtrieb, bevor sie jüngst von der „Tagesschau“ zu Pro Sieben wechselte: „Jetzt steht mein Name drauf“, sagte sie bei der Präsentation der neuen Pro-Sieben-Sendung „Zervakis & Opdenhövel. Live“. „Das hatte ich vorher noch nicht.“ Es klang stolz und staunend. Der eigene Name als Sendungstitel – das gilt als Ritterschlag in einer Branche, die im Wesentlichen von drei Dingen befeuert wird: Zahlen, Geld und stabilen Egos.

Bei der ARD hieß ihre Sendung nicht „Zervakis“, sondern „Tagesschau“. Sie war eine von sieben Sprechern und Sprecherinnen der 20-Uhr-Ausgabe. Bei Pro Sieben nun interviewt sie mit Matthias Opdenhövel Spitzenpolitiker und startet im Herbst eine wöchentliche Liveshow, zwei Stunden zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Das darf man getrost einen Karrieresprung nennen. Das Ziel: „Es soll gelacht werden, geweint werden, und man soll sich auch freuen.“

Pinar Atalay und Peter Kloeppel moderieren am 29. August bei RTL das erste Wahltriell der Bundeskanzlerkandidaten und -kandidatin. © Quelle: RTL

„Wir sind im Angriffsmodus“

Und Zervakis ist nicht die einzige, die es zuletzt von der öffentlich-rechtlichen ARD zu den Privaten zog. Nun wechselt auch Pinar Atalay (43) zu RTL. Seit 2014 war sie neben Caren Miosga und Ingo Zamperoni das Gesicht der ARD-„Tagesthemen“. Im August startet sie im neuen Job bei RTL. Am 29. August dann moderiert sie neben RTL-Nachrichtenpionier Peter Kloeppel das erste TV-Kanzlertriell zwischen Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Auch den ehemaligen „Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer (69) zog es nach seinem ARD-Karriereende von Hamburg zur Konkurrenz. Er wird neben Peter Kloeppel zum zweiten wichtigen News-Anchor bei RTL – als Gastgeber einer neuen wochentäglichen Nachrichtensendung im Hauptabendprogramm. „Wir sind im Angriffsmodus“, sagte Stephan Schmitter, Geschäftsführer von RTL News.

Drei Abgänge in wenigen Monaten – es ist schon ein vergleichsweise spektakulärer Exodus, den das Team von „ARD Aktuell“ verkraften muss. Man darf zweifellos von schwierigen Wochen für das ARD-Nachrichtenteam in Hamburg-Lokstedt sprechen. Marcus Bornheim, erster Chefredakteur von „ARD Aktuell“, hatte den Abschied von Zervakis eher nüchtern kommentiert: „Sie möchte sich auf eigenen Wunsch hin beruflich verändern.“ Die Frage, warum das bei der ARD unmöglich war, beantwortete er nicht. Zum Abschied von Pinar Atalay teilte er am Dienstag lediglich mit: „Das ‚Tagesthemen‘-Moderationsteam mit Caren Miosga und Ingo Zamperoni wurde durch Pinar Atalay journalistisch wie menschlich bereichert. Wir wünschen ihr alles Gute.“

Mehr Journalismus wagen

Acht Jahre ist es her, dass Marc Bator von der „Tagesschau“ zu Sat.1 ging und dort Chefmoderator wurde. „Bei allem Respekt, muss sich die ARD auch mal hinterfragen, ob ihre Bezahlung und die Flexibilität in der Ausgestaltung der Dienstverträge noch zeitgemäß sind“, sagte er nach Bekanntwerden der Personalie Atalay dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Gleich drei den Zuschauern liebgewonnene Nachrichtengesichter an private TV-Sender zu verlieren, sollte der ARD zu denken geben.“

Mehr Journalismus wagen – das ist das Motto der Stunde bei vielen deutschen Fernsehmachern. Sowohl Pro Sieben als auch RTL feilen verstärkt an ihrem journalistischen Profil und rütteln damit an den Grundfesten dessen, was ihr Image 30 Jahre lang geprägt hat: immer aggressivere, gescriptete Realityshows, Spielshows mit Sternchen und Casting. Inzwischen aber ist Deutschland durchgecastet.

Und in Zeiten globaler Konkurrenz durch Streamingdienste suchen hiesige Sender ihr Heil in mehr publizistischer Tiefenschärfe. Die Formel lautet: weg vom Trash – hin zu mehr Substanz. Denn als Rezept gegen die Masse an Serien und Filmen, die Netflix, Prime Video und Disney+ mit dem Schrotgewehr in alle Welt schießen, haben nicht nur die privaten deutschen Sender längst zwei Mittel ausgemacht: regionales Fernsehen und Liveevents. Zwei Disziplinen, die die Global Player (noch) nicht beherrschen.

Es ist kein Platz mehr für Dieter Bohlen

Und so steht plötzlich eine Tugend weit oben auf der Agenda des privaten Fernsehens, die lange Zeit verschüttet war unter einer Lawine von bronzebraunen Trashhelden in Sommerhäusern oder schrillen Versuchen, noch den letzten Saft aus ausgelutschten Castingformaten zu quetschen: gesellschaftliche Verantwortung. Da ist kein Platz mehr für Dieter Bohlen. Kinder anschreien und das wehrlose Prekariat ausbeuten war gestern. Der einzige Sender, der das noch nicht gemerkt hat, ist das traditionell stoffelige Sat.1.

Sieben Stunden Krankenhaus: Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf zeigten bei Pro Sieben die Schicht einer Krankenschwester sieben Stunden am Stück – und ungeschnitten. © Quelle: dpa/Twitter/RND-Montage Behrens

Pro Sieben erwarb sich zuletzt viel Respekt durch Thilo Mischkes Reportage über Rechtsradikalismus oder die Themenspecials seiner beiden Haltungshelden Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Deren Sendung „Männerwelten“ mit Sophie Paßmann über sexualisierte Übergriffigkeit gegen Frauen wurde jüngst mit dem Grimme-Preis geehrt. Mit einer 15-Minuten-Dokumentation zum Chaos im Flüchtlingslager Moria prangerten sie die Herzlosigkeit Europas an – ein enorm wichtiger Beitrag gegen die Entchristlichung Europas. Und für eine siebenstündige Reportage über den Job einer Krankenpflegerin räumte der Sender seinen kompletten Hauptabend ab.

„Wenn man relevant sein will, muss man Nachrichten selber machen“

Künstlerpech für ARD und ZDF: Von ihnen erwartet das Land ganz automatisch Seriosität und Tiefe. Selbst bei grandiosen Reportagen aus dem öffentlich-rechtlichen Universum schlagen die Seismographen der sozialen Medien kaum aus. Sobald aber Pro Sieben oder RTL mal signalisieren, dass auch bei ihnen Haltung und Anspruch gelegentlich einen Platz haben, herrscht allseits Überraschung bis Begeisterung. Es ist eben alles eine Frage der Fallhöhe.

Seinen früheren Newssender N24 (inzwischen: Welt) hatte der Pro-Sieben-Sat.1-Konzern vor Jahren an Axel Springer verkauft. Ab 2023 will Pro Sieben seine Nachrichten wieder selbst produzieren. „Wenn man relevant sein will, muss man Nachrichten selber machen“, sagte Pro-Sieben-Sat.1-Vorstandssprecher Rainer Beaujean bei einem Pressetermin. Künftig arbeiten 60 Menschen für die Nachrichten, die jahrelang nur als lästiger Wurmfortsatz galten, um den Status als „Vollprogramm“ nicht zu verlieren. Das RTL-News-Team zählt sogar 700 Mitarbeiter an 13 Standorten in Deutschland und elf im Ausland, den Kanal N-TV mitgerechnet. Die Köpfe für die Offensive freilich kauft man sich im Fernsehmutterland der Seriosität ein: bei den Öffentlich-Rechtlichen.

259,89 Euro für „Tagesschau“-Sprecher

Es dürften zwei Faktoren sein, die Atalay, Zervakis und Hofer zu den einstigen Schmuddelkindern ziehen: Geld und Glamour. Als „Tagesschau“-Sprecher sind keine Reichtümer zu erwarten. Sprecher erhalten pro Sendung ein festes Honorar von 259,89 Euro für die Hauptausgabe. Das Sendungskorsett ist eng – für persönliche Entfaltung ist kaum Raum, und die Nebenjobregelungen der ARD sind streng. Hinzu kommt: Atalay und Zervakis standen jahrelang in der zweiten Reihe. Profilschärfung war kaum möglich. Sie frage sich manchmal, wie Zervakis das eigentlich aushalte, sagte ihre Freundin Sarah Kuttner vor Jahren in ihrer Talksendung „Kuttner plus Zwei“. Sie habe doch so viel Humor und Witz, aber dann sitze sie da in der „Tagesschau“ und lese Zettel vor. Zervakis fand es unproblematisch, damals. Aber das ist lange her.

Abschied von der ARD: „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni überreicht Moderatorin Linda Zervakis Ende April in ihrer letzten Sendung einen Blumenstrauß. © Quelle: --/ARD/dpa

Und Atalay? „Ich möchte mit meiner Erfahrung als TV-Journalistin und Moderatorin dem steigenden Informationsbedürfnis der Zuschauer gerecht werden, mit Qualitätsjournalismus, der für die Gesellschaft unabdingbar ist“, ließ sie sich zitieren. Und RTL-Geschäftsführer Henning Tewes sekundierte: „Information und gesellschaftliche Relevanz sind seit Jahrzehnten starke Programmfarben bei RTL und werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle für uns spielen.“

So ähnlich klang der Satz aus dem Munde wechselnder RTL-Manager auch schon in den vergangenen Jahren. Bisher blieb er weitgehend Behauptung. Mit den Nachrichten im deutschen Privatfernsehen war es bisher wie mit der Bildung in der Bundespolitik: In der Theorie spielt beides eine große Rolle, in der Praxis sah es düster aus. Auf N-TV laufen bisher dann doch eher „Hitlers Helfer“ oder Dokus über Hightechwaffensysteme als aktuelle Nachrichten. Atalay soll dabei helfen, dass Tewes’ Satz diesmal wahr wird.

Kampf um die Sichtbarkeit

Die Journalismusoffensive von Pro Sieben und RTL hat aber noch ganz andere, handfeste Gründe: Im November 2020 wurde ein neuer Medienstaatsvertrag verabschiedet. In Paragraf 84 (Absatz 3) zum Stichwort „Auffindbarkeit in Benutzeroberflächen“ verbirgt sich ein entscheidender Nebensatz, der für Privatsender existenzielle Bedeutung hat. Er sieht vor, dass solche Sender, „die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten, leicht auffindbar zu sein haben“. Wer also wertiges Fernsehen macht, soll auf Netzplattformen, in Suchalgorithmen oder in TV-Menüs leichter auffindbar sein als irgendein drittklassiger Trashkanal. Es gilt also nicht mehr: Wer am lautesten schreit wird am schnellsten gehört, sondern: Je besser das Programm, desto sichtbarer der Sender (und damit die Werbung). Genaueres regeln die Landesmedienanstalten.

Auch um Judith Rakers sollte die ARD besser einen stabilen Zaun errichten. Sie trat im vergangenen Jahr bereits in der kurzlebigen RTL-Show „I Can See Your Voice“ auf. Allerdings nicht als Nachrichtensprecherin, sondern als Showgast. Aber Achtung! So harmlos begann einst auch die RTL-Karriere von Jan Hofer: als Teilnehmer der Tanzshow „Let‘s Dance“.

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