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Neu aufgestellter Rostock-»Polizeiruf«: Familie ist nur ein anderes Wort für Versagen - DER SPIEGEL

Männerschwund: Nachdem Charly Hübner den »Polizeiruf« verlassen hat, ermittelt Anneke Kim Sarnau nun gemeinsam mit Lina Beckmann. Es geht um zwei Familien, in denen die Väter durch Abwesenheit glänzen.
Katrin König (Anneke Kim Sarnau, l.) mit Leiche: Tatort Küche

Katrin König (Anneke Kim Sarnau, l.) mit Leiche: Tatort Küche

Foto: Manju Sawhney / NDR

Es wird viel gebacken und gerührt, viel mariniert und paniert in diesem »Polizeiruf«. Gefühlt spielt Dreiviertel der Handlung in irgendwelchen Küchen. Gemütlich verrummelten Küchen. Clever funktionalen Küchen. Aseptisch durchgewischten Küchen. Zeig mir, wie du kochst, und ich sag dir, wer du bist.

Kommissarin König (Anneke Kim Sarnau) verkörpert den Typus einsame Sauerteig-Träumerin. Gleich am Anfang sehen wir sie, wie sie den Teig knetet und dann anbetet. Doch das Ding will nicht aufgehen, vielleicht weil es ahnt, dass nach zwei Jahren Corona wirklich keiner mehr Bock auf selbst gemachtes Brot hat, und dass König sowieso über niemanden verfügt, der aus Liebe wohlwollend einen Bissen riskieren würde. Irgendwann drückt die Polizistin frustriert ihr Gesicht in die Schüssel mit dem Teig.

König mit Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann, M.) im Einsatz: Danach gibt's Schoko-Muffins.

König mit Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann, M.) im Einsatz: Danach gibt's Schoko-Muffins.

Foto: Christine Schroeder / NDR

In den letzten drei »Polizeiruf«-Folgen hatte König ja ein Verhältnis zu ihrem Kollegen Bukow (Charly Hübner) aufgebaut. Zusammen kochen war da noch nicht angezeigt, man war noch in der gemeinsamen Saufphase stecken geblieben. Bevor dann die Sauerteig- und Nestbauphase anbrechen konnte, hatte der Kollege sich schon einen schlanken Fuß gemacht. Ehrlich gesagt wissen wir immer noch nicht recht, weshalb Bukow mit dem Pick-Up der untergehenden Taiga-Sonne entgegenfuhr. Männliche Belastungsstörung?

Darunter leiden nun auf jeden Fall die männlichen Figuren in diesem »Polizeiruf«, die sich allesamt aus den Küchen ihrer Familien davonstehlen, um später tränenreich von den Verletzungen und Grausamkeiten des Zusammenlebens mit Frau und Kind zu erzählen. So als wäre Familie nur ein anderes Wort für Versagen.

Tod zwischen Backofen und Spülmaschine

Sehr schnell liegt in diesem Krimi eine alleinerziehende, mit mehreren Stichen getötete Mutter zwischen Backofen und Spülmaschine; zudem starb über Nacht ihr schwerstbehinderter Sohn, der darauf angewiesen war, dass jemand die Infusion gewechselt hätte.

Die Spur führt Kommissarin König ins Nachbarhaus; hier steht die Frau in der Küche und kloppt Schnitzel weich, während der Mann durch Abwesenheit glänzt. Das Paar hat zwei ältere Pflegekinder – eines davon ist offenbar in einer geheimen Polizeiaktion in die Familie gekommen. Denn ganz unerwartet trifft König hier die aus Bochum angereiste Ermittlerin Melly Böwe (Lina Beckmann), die offenbar schon länger Beziehungen zu der Familie unterhält.

Böwe ist im »Polizeiruf« die Halbschwester von Bukow; wir haben sie bei der Beerdigung von Bukows Vater bereits kennengelernt. Und Böwe-Darstellerin Beckmann ist im richtigen Leben die Ehefrau von Bukow-Darsteller Hübner. Sie ahnen: Dies ist ein komplizierter Krimi, voll von Binnenbezügen und Personalstunts. Das Drehbuch schrieb Florian Oeller, der zuletzt die sensationelle Folge »Sabine« geschrieben hatte und schon oft ran musste, wenn sich die Redaktion in der speziellen horizontalen Erzählweise des Rostocker »Polizeirufs« verfranst hatte.

Den gewagten Dreh, dass sich die beiden Ermittlerinnen nun rein zufällig in der Küche des verdächtigen Ehepaares wiederbegegnen, kann auch Oeller nicht ganz plausibel ausgestalten. Trotzdem schafft er ein starkes Tableau von Frauen, die gegen alle Widrigkeiten ihr Ding durchziehen, und Männern, die kollabieren, lamentieren oder gleich ganz von der Bildfläche verschwinden.

Das Selbstmitleid des Mannes

Regie führte Stefan Krohmer, der unerbitterliche Chronist männlicher Belastungsstörungen. Seine Filme sind voll von Typen, die sich gerne als moderne, anpackende Familienväter inszenieren, aber schon bei geringsten Problemen den Schwanz einziehen, weil sie feststellen, dass sich dieses ersehnte Familienidyll für die persönliche Zufriedenheit dann doch nicht so rechnet, wie sie sich das vorgestellt haben. In einer besonders würdelosen Szene in diesem »Polizeiruf« berichtet ein Familienvater, wie er sich angesichts der Überlastung angeblich zum Ackergaul degradiert sieht, um dann eine Arie über die Ausbeutung des Mannes zu schmettern. König staunt und stöhnt: »Klingt unglaublich selbstmitleidig.«

Der Plot schlingert zuweilen, weil darin noch so fürchterlich viel Anderes verhandelt werden muss (angesagte Drogencocktails, osteuropäische Mafia, personelle Neuaufstellung), aber als Panorama familiärer Ohnmacht und männlicher Heulsusigkeit entfaltet der Fall eine nachhaltig verstörende Wirkung.

Am Ende, da müssen die Männer im Publikum ganz stark sein, wird dieser »Polizeiruf« dann so ein Frauending. König und Böwe jagen durch die Mecklenburger Landschaft und teilen selbstgebackene Muffins. Mit der Sauerteig-Traurigkeit ist es wohl zum Glück vorbei. Freuen wir uns auf die nächste, vielleicht nicht ganz so überladene Folge.

Bewertung: 7 von 10 Punkten

»Polizeiruf 110: Seine Familie kann man sich nicht aussuchen«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

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