
Viola Davis und Chadwick Boseman (hinten) in »Ma Rainey's Black Bottom«
Foto: David Lee / APDie Anfänge der Blues-Musik waren reine Männersache, könnte man glauben: Big Bill Broonzy, Robert Johnson, Son House oder Leadbelly gelten als Gründerväter der schwarzen Sorgenmusik, schon die Namen einflussreicher Sängerinnen wie Ethel Waters und Bessie Smith sind Kennern vorbehalten. Dabei war es Gertrude »Ma« Rainey, 1882 oder 1886 in Georgia geboren, die den Blues zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Minstrel- und Vaudeville-Shows im Süden der USA populär machte und Smith alles zeigte, was man für eine erfolgreiche Karriere brauchte.
Rainey, offen bisexuell, war eine eindrucksvolle Persönlichkeit, keine Schönheit, aber eine Stimmgewalt, die ihr umfangreiches Hinterteil auf der Bühne zum »Black Bottom«-Dance schwingen ließ – die Urform des anzüglichen »Twerking«, das schwarze Rapperinnen wie Cardi B und Megan Thee Stallion heute als körperliche Ermächtigungsgeste zur Schau stellen.
»Ma Rainey's Black Bottom« – auf deutsch: Ma Rainey und ihr schwarzer Hintern – heißt nun auch ein sehr edel produzierter Netflix-Film, der auf dem gleichnamigen Theaterstück von August Wilson basiert. Es ist das zweite von insgesamt zehn Dramen, die Wilson unter dem Namen Pittsburgh Cycle ab Anfang der Achtzigerjahre über verschiedene Aspekte schwarzer Lebenswirklichkeit veröffentlichte, eines für jedes Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

»Ma Rainey« spielt Ende der Zwanzigerjahre in Chicago, als die Sängerin zu einer Aufnahme-Session anreist. Sie ist auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, ein gefeierter Star der auch bei Weißen populären »race music« der Südstaaten, deren divenhafte Allüren ihr weißer Manager Irvin und der ebenfalls weiße Musikproduzent Sturdyvant mit bemühter Servilität ertragen.
Zumindest bis die Blues-Mutter ihre Songs gesungen hat und alles auf Platte gepresst ist. Danach, das weiß auch Ma Rainey, ist sie in den Augen der Weißen nichts mehr wert, nur noch eine schwarze Hure, der man nicht zuhören oder gehorchen muss: »They don’t care nothing about me«, sagt sie so bitter wie verächtlich zu ihrem Bandleader, »alles, was die wollen, ist meine Stimme«. Umso vehementer besteht sie auf ihrem Recht und ihrer Würde, auch wenn es nur darum geht, sich von den Bossen eine kalte Cola holen zu lassen.
Wilsons Theaterstück ist auch in der Filmfassung von Regisseur George C. Wolfe und Ruben Santiago-Hudson (Drehbuch) kein Musikerinnen-Biopic, sondern ein Kammerspiel, das von der Ausbeutung der afroamerikanischen Kultur und den Selbstbehauptungskämpfen ihrer Protagonisten handelt. Ma Rainey gibt dem Stück zwar seinen Namen und wird von Viola Davis unter grandiosem Make-up umwerfend verkörpert, die eigentliche Hauptfigur des Films ist aber der junge Trompeter Levee Green, der sich nicht mit seinem untergeordneten Platz in Raineys gemächlicher Band zufriedengeben will. Er träumt von seiner eigenen Combo und dem damals aufkommenden Swing – und schreibt Songs, die er Sturdyvant eifrig andient.
Von seinen Kollegen wird er dafür als Onkel Tom verspottet, doch Levee erzählt ihnen eine erschütternde Geschichte aus seiner Kindheit, die ihn über den Verdacht, sich den Weißen willfährig untertan zu machen, erheben soll. Der kecke, hibbelige Hipster hält sich für unbesiegbar, als Musiker ebenso wie als Subjekt im Rassenkonflikt der US-Gesellschaft. Doch als er in seinem Sturm und Drang endlich eine widerständige Metalltür im Probenraum aufstemmt, eine etwas zu plakative Metapher im Film, wartet dahinter alles andere als die Freiheit.
Diese letztlich tragische Figur ist die letzte Rolle von Chadwick Boseman, dem »Black Panther«-Star des Marvel-Kinouniversums, der im August mit nur 43 Jahren an einem lange im Geheimen bekämpften Krebsleiden verstarb. Posthum wurde Boseman zu einer Ikone der schwarzen Kultur, und wenn man ihn in »Ma Rainey’s Black Bottom« agieren sieht, mit glühendem, hungrigem Blick und leuchtendem Charisma, dann wird noch einmal schmerzhaft deutlich, was für ein brillanter Schauspieler dem Kino viel zu früh verloren ging.
Aber natürlich wirkt das Wissen um Bosemans tragischen Tod auch wie ein emotionaler Verstärker für seine Performance. In einer Szene, die man unter anderen Umständen als zu theatralisch für einen Film empfinden würde, beschwört er zornig einen gleichgültigen Gott, ihn vor dem Bösen und dem Schicksal zu beschützen: »Wage es nur, mir den Rücken zuzukehren, du Motherfucker!«, wütet er fiebrig gen Himmel, der hier die niedrige Decke eines schäbigen Kellerraums ist, in dem die schwarzen Musiker proben müssen. Schon jetzt raunt die Kinobranche, dass ihm dieser Auftritt eine posthume Oscar-Nominierung garantieren wird.
Das ist einerseits verdient, andererseits auf mehreren Ebenen so trauergeladen wie der Blues, der als Grundmotiv (und im Soundtrack von Branford Marsalis) durch den Film geistert: Boseman selbst kann die Früchte seines Talents ebenso wenig ernten wie sein gebrochener Filmheld. Und Viola Davis, die in einer anderen Verfilmung eines Wilson-Stückes (»Fences«, 2017) ihren ersten Oscar gewann, muss durch die Verschiebung des Rampenlichts auf Boseman genauso um die Anerkennung ihrer Leistung kämpfen wie einst Ma Rainey. Deren Geschichte wird hier ohnehin nicht hinreichend gewürdigt – die ewige, melancholische Story ihres Lebens, die sie in ihren Blues-Weisen besang.
Die Musikerin, vom Jazz-Zeitgeist überholt, starb 1939 im Alter von 53 Jahren an einem Herzinfarkt. Die »New York Times« druckte ihren Nachruf erst im vergangenen Jahr – in einer »Overlooked« betitelten Artikelserie über einflussreiche LGBTQ-Persönlichkeiten, die man zum Zeitpunkt ihres Todes »übersehen« hatte.
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