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Colbrelli gewinnt legendäre Schlammschlacht von Paris-Roubaix | radsport-news.com - Radsport-News.com

Europameister krönt erfolgreiche Saison

Von Felix Mattis aus Roubaix

Foto zu dem Text "Colbrelli gewinnt legendäre Schlammschlacht von Paris-Roubaix"
Sonny Colbrelli (Bahrain Victorious) hat das 118. Paris-Roubaix gewonnen. | Foto: Cor Vos

03.10.2021  |  (rsn) - Europameister Sonny Colbrelli (Bahrain Victorious) hat die erfolgreichste Saison seiner Karriere mit seinem ersten Sieg bei einem der fünf Monumente gekrönt. Der 31-jährige Italiener entschied die vom Regen und vielen Stürzen geprägte 118. Auflage von Paris-Roubaix über 258 Kilometer von Compiegne zum Velodrome von Roubaix im Sprint dreier Debütanten vor dem jungen Florian Vermeersch (Lotto Soudal) und dem Niederländer Mathieu van der Poel (Alpecin - Fenix) für sich.

Danach brach die ungehemmte Freude aus Colbrelli heraus, der als erster Italiener seit Andrea Trafi 1999 wieder die “Königin der Klassiker“ gewinnen konnte. Er wälzte sich laut schreiend auf dem Rasen und konnte sein Glück kaum fassen. "Unglaublich, mein erstes Paris-Roubaix und ich gewinne. Ich bin sehr glücklich. Heute war es ein legendäres Roubaix mit dem Regen und dem schlechten Wetter am Start und einer Attacke in Arenberg 90 Kilometer vor dem Ziel. Ich bin im Finale nur van der Poel gefolgt und hatte am Ende einen Supersprint. Ich bin sehr glücklich über diesen Sieg“, sagte der große Gewinner im Ziel-Interview. “Dieses Jahr ist mein Jahr, ich bin sehr glücklich“, so Colbrelli, der in der letzten Kurve den Antritt des erst 22-jährigen Vermeersch kontern konnte, wogegen van der Poel zwischen seinen beiden Konkurrenten eine kleine Lücke lassen musste, die er bis zur Ziellinie nicht mehr schließen konnte.

Moscon war die tragische Figur des Tages

Zuvor hatte der viermalige Cross-Weltmeister gemeinsam mit Colbrelli und Vermeersch 16 Kilometer vor dem Ziel Gianni Moscon (Ineos Grenadiers) gestellt. Der Italiener war der letzte von ursprünglich knapp 30 Ausreißern, die sich nach knapp 40 Kilometern bereits zusammengefunden hatten, und behauptete bis ins Finale hinein seinen Vorsprung, ehe ihn zunächst ein Defekt und dann ein Sturz aus dem Rhythmus brachten.

"Paris-Roubaix ist für mich das schönste Rennen. Ich habe schon weit vor dem Ziel angegriffen und hatte dann mit einem Defekt Pech. Wenn man danach am Limit fährt, macht man Fehler. Zum Schluss hatte ich auch nicht mehr die besten Beine. Ich kann nicht sagen, dass ich ohne den Defekt und den Sturz das Rennen gewonnen hätte. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich dadurch verloren habe. Ich muss jetzt erst mal alles verdauen“, sagte Moscon, für den es dennoch mit 44 Sekunden zum vierten Platz reichte, gefolgt vom Belgier Yves Lampaert (Deceuninck - Quick-Step), der mit 1:16 Minuten Rückstand aus der ersten Verfolgergruppe heraus vor dem Franzosen Christophe Laporte (Cofidis) und seinem Landsmann Wout Van Aert (Jumbo - Visma) auf Rang fünf sprintete.

Bester deutscher Profi war der Wiesbadener Jonas Rutsch (EF Education - Nippo), der nach einer beeindruckenden Vorstellung eine Position hinter dem Australier Heinrich Haussler (Bahrain Victorious) Elfter wurde. Der Heidelberger Max Walscheid (Qhubeka NextHash) war ebenfalls lange Zeit in der Ausreißergruppe des Tages dabei, musste sich nach zwei Stürzen aber mit Rang zwölf begnügen. Der Vorjahreszweite Nils Politt (Bora - hansgrohe) musste gleich dreimal sein Rad wechseln und gab schließlich das Rennen auf.

So lief das Rennen:

Bei seit Samstagnachmittag anhaltendem Dauerregen machte sich das Peloton in Compiegne auf den Weg und schon nach wenigen Kilometern setzte sich Max Kanter (DSM) gemeinsam mit Matteo Trentin (UAE Team Emirates) und Edward Theuns (Trek - Segafredo) ab. Das Trio kam aber nur rund 20 Sekunden weg, bevor Trentin die Bein hochnahm.

Es hagelte weiter Attacken aus dem Feld und 215 Kilometer vor dem Ziel kam es dann zu einem Riss im Feld, aus dem eine 30-köpfige Spitzengruppe hervorging, in der unter anderem Greg Van Avermaet (Ag2r – Citroen), Max Walscheid (Qhubeka – NextHash) und Marco Haller (Bahrain Victorious) sowie die beiden Schweizer Stefan Bissegger (EF Education – Nippo) und Stefan Küng (Groupama – FDJ) saßen. Letzterer stürzte dann im Kreisverkehr und Haller fiel aufgrund eines Hinterradschadens noch vor dem ersten Pavé-Sektor zurück.

Nach Sektor 30, dem ersten Kopfsteinpflaster-Abschnitt, war das Hauptfeld bereits in mehrere Gruppen zersplittert, die dann aber auf Asphalt wieder zusammenrollten, was den Abstand nach vorne auf 2:30 Minuten anwachsen ließ. In einer der hinteren Gruppen fuhr da schon Nils Politt (Bora – hansgrohe), der dann auch in Sektor 28 erneut allein hinter dem Feld unterwegs war.

Politt früh hinter dem Feld und Sagan stürzt

Sektor 27 nutzten Walscheid, Florian Vermeersch (Lotto Soudal), Luke Rowe (Ineos Grenadiers) und Nils Eekhoff (DSM), um sich zu viert aus der Spitzengruppe abzusetzen und schnell 20 Sekunden herauszufahren, während ihre noch rund 20 ehemaligen Begleiter weiter rund 2:30 Minuten vor dem Feld fuhren. Dort musste sich 142 Kilometer vor Schluss Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) wegen eines Problems mit seiner Kette kurz verabschieden, nach rund zwei Kilometern war er aber wieder vorne.

Fünf Kilometer später wurde Peter Sagan (Bora – hansgrohe) wegen einer tiefen Pfütze in einen Sturz verwickelt, bevor es auf Sektor 25 zum bereits dritten Sturz von Küng kam, nach dem der Schweizer lange entnervt stehen blieb.

Auf Sektor 24 kam Walscheid zu Fall, musste Eekhoff und Vermeersch allein ziehen lassen und sortierte sich dann in der großen Verfolgergruppe wieder ein, zu der auch Rowe bereits zurückgefallen war. Unterdessen stürzte knapp drei Minuten dahinter im Hauptfeld John Degenkolb (Lotto Soudal), weil er von einem die Spur wechselnden Jumbo-Visma-Fahrer abgeräumt wurde.

Van Aert beschleunigt als erster der Favoriten

115 Kilometer vor Schluss zog Wout Van Aert (Jumbo – Visma) erstmals das Tempo an und fühlte den Mitfavoriten auf den Zahn, doch auf den anschließenden 15 asphaltierten Kilometern in Richtung Haveluy lief das Feld wieder zusammen.

Auf dem 4-Sterne-Sektor Haveluy-Wallers erhöhte Deceuninck – Quick-Step  erneut das Tempo, während im hinteren Teil des Feldes mehrere Fahrer stürzten – darunter Edward Theuns (Trek – Segafredo) – oder Defekt hatten, wie etwa Florian Senechal (Deceuninck – Quick-Step). So verkleinerte sich das Favoritenfeld vor dem Wald von Arenberg bereits auf rund 15 Mann, wobei zu diesem Zeitpunkt Van Aert, van der Poel, Colbrelli, Yves Lampaert, Zdenek Stybar und Kasper Asgreen den stärksten Eindruck machten.

Den berühmtesten aller Kopfsteinpflaster-Abschnitte erreichten derweil Vermeersch und Eekhoff an der Spitze mit noch 40 Sekunden Vorsprung auf die große Verfolgergruppe um Van Avermaet und 1:40 Minuten vor dem soeben verkleinerten Favoritenfeld.

Deceuninck – Quick-Step mit Kollektiv-Pech rund um Wallers und Arenberg

Im Wald kam es direkt vor Van Aert zum Sturz eines Qhubeka-Fahrers und die Favoritengruppe zerriss. Weil dann auch noch der von vorne aus der Van-Avermaet-Gruppe zurückfallende Luke Rowe (Ineos Grenadiers) regelrecht im Weg stand und ihn Mads Pedersen (Trek – Segafredo) übersah, krachte es in der Favoritengruppe erneut und nur van der Poel, Colbrelli, Matthias Norsgaard (Movistar) und Guillaume Boivin (Israel Start-Up Nation) kamen noch gemeinsam aus dem Wald heraus. Im folgenden Sektor 18 aber schloss Van Aert die Lücke wieder und brachte auch einige Kontrahenten mit vor – allerdings mit Stybar nur noch einen einzigen von Deceuninck – Quick-Step, weil nach Senechal auch Asgreen und Lampaert Defekte ereilt hatten.

Trotzdem atmetete die Gruppe auf dem Weg in Richtung des sogenannten John Degenkolb-Sektors von Hornaing kurz durch, was Colbrelli und der Franzose Jeremy Lecroq (B&B Hotels - KTM) sowie Boivin und Baptiste Planckaert (Intermarché – Wanty – Gobert) zur Flucht nach vorn nutzten. Das Quartett erreichte den Degenkolb-Sektor rund eine halbe Minute vor dem Favoritenfeld um van der Poel und Van Aert, dem auch Rutsch, Haussler und Haller noch angehörten, sowie eine halbe Minute hinter der Spitze, wo Walscheid, Bissegger, Van Avermaet und Co. nun Vermeersch und Eekhoff eingeholt hatten.

Van der Poel sucht Vorentscheidung

75 Kilometer vor Schluss stoppte van der Poel zum zweiten Mal wegen eines Defekts, war aber schnell wieder zurück im anwachsenden Favoritenfeld, in das inzwischen auch Lampaert wieder zurückgefunden hatte und das nun 1:30 Minuten hinter der Spitzengruppe lag – und weiterhin 30 Sekunden hinter dem Colbrelli-Quartett. Auf dem folgenden Sektor 15 ließ der Niederländer dann aber die Muskeln spielen und sprengte das Feld.

Nur Lampaert, Stybar und Haussler konnten mitgehen, mussten aber im Verlauf des Pflasterabschnitts ebenfalls reißen lassen und so fuhr van der Poel 69 Kilometer vor Schluss allein zu Colbrelli und Co. vor.

In der Spitzengruppe ließen 64 Kilometer vor Schluss im Sektor 14 Vermeersch, Gianni Moscon (Ineos Grenadiers) und Tom Van Asbroeck (Israel Start-Up Nation) ihre Begleiter um Walscheid und Bissegger stehen, die dann bald in die van der Poel-Gruppe zurückfielen, so dass sich am grundlegenden Bild auch zehn Kilometer später nichts verändert hatte: Die van der Poel-Colbrelli-Gruppe fuhr 50 Sekunden hinter der Spitze und 50 Sekunden vor der größeren Gruppe um Van Aert, in der nun Lampaert erneut Defektpech hatte.

Walscheid stürzt zum zweiten Mal, Rutsch attackiert vergebens

In Sektor 12 ging zum zweiten Mal Walscheid zu Boden und riss van der Sande und Van Avermaet mit sich, so dass sich das Trio aus der Van der Poel-Gruppe verabschieden musste, während gleichzeitig an der Spitze 52 Kilometer vor Schluss Gianni Moscon seine letzten Begleiter abschüttelte und zum Solo ansetzte.

Der Italiener nahm den gefürchteten Sektor 11 namens Mons-en-Pevele 48 Kilometer vor Schluss 35 Sekunden vor Vermeersch und Van Asbroeck, 1:13 Minuten vor van der Poel, Boivin und Colbrelli sowie 2:00 Minuten vor der großen Van Aert-Gruppe in Angriff und baute seinen Vorsprung dort sogar nochmal um einige Sekunden aus.

Unterdessen hatte sich Rutsch aus der Van Aert-Gruppe abgesetzt und fuhr kilometerlang mit einigen Sekunden Vorsprung vor dem Belgischen Meister, Lampaert und Co. her, ohne wirklich wegzukommen, und wurde dann bald wieder eingeholt. 39 Kilometer vor Schluss holten van der Poel, Colbrelli und Boivin die beiden Belgier Van Asbroeck und Vermeersch ein, doch der Abstand zu Moscon wurde nicht kleiner, sondern wuchs sogar auf 1:20 Minuten an.

Moscon gleich doppelt im Pech: erst Defekt, dann Sturz

Ein Defekt von Moscon aber kostete den Italiener 30 Kilometer vor Schluss rund 25 Sekunden, und weil er vier Kilometer danach auf dem Pflaster von Cysoing auch noch zu Fall kam, rückte das van der Poel-Quintett auf 15 Sekunden an ihn heran und das Rennen war plötzlich wieder völlig offen.

Doch Moscon steckte nicht auf und baute seinen Vorsprung vor Sektor 5, Camphin-en-Pevele, nochmal auf 22 Sekunden aus. Dort kam der bis dahin überragende Boivin in der Verfolgergruppe zu Fall und auch van Asbroeck verlor den Anschluss, so dass anschließend nur noch van der Poel, Colbrelli und Vermeersch gemeinsam zwölf Sekunden nach Moscon in den Carrefour de l'Arbre (Sektor 4) einbogen.

Dort führte van der Poel das Trio genau 16 Kilometer vor Schluss an Moscon heran, und sofort beschleunigte Colbrelli. Moscon fiel prompt zurück, aber van der Poel und Vermeersch blieben am Europameister dran.

van der Poel kommt nicht an Colbrelli und Vermeersch heran

In der Anfahrt auf die letzten drei Sektoren baute das neue Spitzentrio seinen Vorsprung gegenüber den verzweifelt kämpfenden Moscon aus, während in der ersten Verfolgergruppe Van Aert noch nicht aufsteckte. Die drei Spitzenreiter arbeiteten auf den letzten Kilometern gut zusammen und lösten sich in der Führungsarbeit ab, ehe der auf dem Papier sprintschwächere Vermeersch gut drei Kilometer vor dem Ziel erstmals erfolglos antrat.

Colbrelli führte das Trio auf den letzten der 30 Sektoren, der nur 300 Meter lang war, van der Poel aber erreichte als Erster das Velodrome von Roubaix. Vermeersch eröffnete auf der Außenbahn den Sprint, den aber Colbrelli souverän konterte, um sich überlegen den Sieg vor dem jungen Lotto-Profi und dem am Ende kraftlosen und tief enttäuschten van der Poel zu sichern.

 

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