Kaum ein Wölkchen steht am Himmel über Aschersleben an diesem Vormittag im Mai. Gleißend scheint die Sonne, und auf der Baustelle an der Kopernikusstraße in der 30.000-Einwohner-Stadt in Sachsen-Anhalt wird es allmählich heiß. Träge schwingt der Kran herum. Und während das Tempo der Bauarbeiter in der Hitze auf dem Dach nachlässt, nimmt Timo Leukefeld erst richtig Fahrt auf.
Für den Ingenieur und Solarunternehmer gibt es nichts Besseres als die pralle Sonne, jedenfalls mit Blick auf sein Energiekonzept für das Wohnhaus. Leukefeld deutet nach oben, nach rechts und links, und sagt: „Wenn hier alles verkleidet ist mit Solarzellen, dann kann den Mietern der steigende Strompreis in Zukunft egal sein.“
Der 52-Jährige ist bekannt für experimentierfreudige Energiekonzepte in Wohngebäuden. Im Auftrag der Ascherslebener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft (AGW) lässt er nun einen dreistöckigen Plattenbau umbauen und sanieren, oben ergänzt um ein Sattelgeschoss mit Schrägdach. Der Clou: Fassade und Dach werden überall dort, wo die Sonne hinkommt, mit Solarzellen verkleidet.
Außerdem wird es keine wassergeführte Heizung geben. An den Decken der 22 Wohnungen hängen stattdessen künftig Infrarotpaneele, die bis in die Wintermonate hinein mit Sonnenstrom laufen sollen.
„Damit erhöhen wir den solaren Ertrag“, sagt Leukefeld, „und außerdem sparen wir hohe Kosten beim Bau und später bei der Wartung.“ Die gesamte Haustechnik ist simpel und der Fachkräftemangel im Heizungshandwerk damit kein Thema mehr.
Die Ideen des Experten aus dem sächsischen Freiberg passen perfekt in die Zeit. Strom- und Heizkosten schnellen in die Höhe, der Staat verlangt von Immobilieneigentümern einen immer höheren Einsatz von erneuerbaren Energien. Gleichzeitig aber sind Baufachleute rar.
Leukefeld zeigt nun in Sachsen-Anhalt, dass man mit allen drei Problemen fertig werden kann. Und das auch noch in einem alten Plattenbau, der umgebaut statt abgerissen wird – was wiederum Bauenergie spart. Es ist zunächst ein Vorzeigeprojekt. Doch die AGW will weitere Wohnhäuser nach diesem Verfahren sanieren, wenn sich das erste rechnet. Auch private Hausbesitzer können sich bei den technischen Lösungen etwas abgucken.
Leukefeld sieht die deutsche Energiewende-Strategie im Gebäudesektor kritisch. Der technische Standard sei inzwischen viel zu hoch, mit Wärmepumpen, Pufferspeichern und Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung – „das ist entweder zu teuer oder im Betrieb so aufwendig, dass ich mich frage, ob wir hier noch auf dem richtigen Weg sind“, sagt Leukefeld.
„Die Bauindustrie zweifelt ja selbst daran, dass es genügend Handwerker geben wird, die die zunehmend komplizierte Technik installieren können.“ Die Systeme seien fehleranfällig, Lüftungsanlagen verkeimt, Wärmepumpen vor allem in Bestandshäusern weniger effektiv als erhofft.
In Aschersleben geht es nun um Vereinfachung, auch bei der Bewirtschaftung. AGW-Geschäftsführer Mike Eley will neue Bewohner mit einer Flatrate-Miete locken: Für weniger als zehn Euro pro Quadratmeter gibt es Wohnung, Heizung, Strom – und Mobilität.
Denn vor dem Haus werden einige E-Autos stehen, aufgeladen mit dem meistens reichlich vorhandenen Solarstrom. Wer Mieter ist, darf sie ohne Zusatzkosten benutzen. Organisiert wird das mit einer App. „Wir wollen auch jüngere Leute in das Quartier locken“, sagt Eley.
Gänzlich energieautark ist das Wohnhaus in der Kopernikusstraße nicht. „Das war allerdings auch gar nicht das Ziel“, sagt Leukefeld. „Hier ging es um eine schlanke Lösung, also auch um geringe Baukosten.“ Im Keller stehen deshalb auch keine riesigen Batteriespeicher, „sondern nur so viel Ladekapazität wie gerade nötig, etwa für eine Nacht“, sagt er.
Von November bis Anfang März müsse die AGW etwas Strom dazukaufen. Wegen der hohen Solarerträge rechnet Leukefeld trotzdem nur mit Stromkosten von 380 Euro pro Jahr und Familie, für Heizung und Warmwasser.
Zwei technische Besonderheiten machen das Projekt aus. Und die sind auch für Hausbesitzer interessant, die vielleicht keine Rundumsanierung planen, aber möglichst viel Fotovoltaikstrom selbst nutzen möchten:
Die Infrarotheizung
Zunächst klingt es befremdlich, dass Heizpaneele an der Decke hängen sollen. „Man darf sich das aber nicht so vorstellen wie bei einem Elektrowärmestrahler“, betont Leukefeld. Infrarotpaneele erzeugten Strahlungswärme, die Oberflächen und Bauteile erwärmen, „so wie ein Kachelofen oder die Sonne“.
Der große Vorteil liegt aus Sicht der Bauherren in Aschersleben im Weglassen komplexer Wasserkreisläufe – Pufferspeicher, Pumpen, Fußbodenheizungen. Stattdessen braucht man hier nur Stromkabel, Batterie und Infrarotpaneel. Im Forschungsprojekt „IR Bau“ der Hochschule Konstanz wurden die Kosten für ein 150 Quadratmeter großes Einfamilienhaus mit einem Heizwärmebedarf von 4500 Kilowattstunden pro Jahr berechnet.
Die Warmwasserheizung inklusive Fußbodenkreisläufen, Wärmepumpe und Speicher kostet hier 30.000 Euro. Ein Infrarotsystem dagegen 10.000 Euro. Jährliche Wartungskosten mit Wärmepumpe: 250 Euro pro Jahr. Infrarotheizung: 25 Euro.
Ungünstiger für die Infrarotheizung fällt hingegen der direkte Vergleich der Betriebskosten aus. Die Infrarotheizung kann, vereinfacht gesagt, aus einer Einheit Strom nur eine Einheit Wärme produzieren. Weil die Wärmepumpe die vorhandene Umweltwärme nutzt, ist der Wirkungsgrad hier statt bei 100 Prozent in der Regel bei deutlich über 300 Prozent.
Allerdings: In Bestandsgebäuden sinkt dieser Wert mit dem energetischen Gesamtzustand. Außerdem wirken Infrarotheizungen kurzfristiger und direkter, und weniger Wärme bleibt in den Leitungen hängen. Das verkürzt den Abstand etwas.
Trotzdem: Im Konstanzer Modellvergleich zahlen Wärmepumpennutzer nur 540 Euro pro Jahr für Heizungsstrom (Wärmepumpentarif mit 22 Cent pro kWh), die Infrarotnutzer dagegen 1128 Euro. Das klingt viel. Zeigt aber auch: Erst nach 34 Jahren ist die Wärmepumpe finanziell im Vorteil im Vergleich zur Infrarotheizung. Wenn sie bis dahin nicht kaputtgegangen ist.
Der Wasserboiler
Vor vielen Jahrzehnten, bevor die Zentralheizung zum Standard wurde, hing das Gerät zylinderförmig und brummend in vielen Badezimmern und Küchen an der Wand: der Warmwasserboiler. Leukefeld hat nun die alte Technik mit Steuerung, Dämmung und einem zweiten Keramikheizstab neu erfunden. Dieser zweite Stab wird dann eingeschaltet, wenn es überschüssigen Solarstrom gibt. Heißes Wasser für lau – vorausgesetzt, man hat Solarmodule auf dem Dach.
Es ist eine simple Lösung, doch sie reicht laut Leukefeld, um in Aschersleben etwa 70 Prozent des Warmwasserbedarfs einer Wohneinheit zu decken. Sind die Solarflächen kleiner, sind es immer noch 50 Prozent. „Deutsche Hersteller konnte ich nicht dafür gewinnen“, sagt Leukefeld. Jetzt wird der „Autarkie-Boiler“ in der Slowakei hergestellt. Und kostet in der großen 200-Liter-Version 1340 Euro.
In Aschersleben geht es auch hier um Low-Tech. Leukefeld und sein Team wollten keine komplizierten Steuergeräte, die den Solarheizstab beispielsweise erst dann aktivieren, wenn die Sonne scheint. Stattdessen wird er von März bis Oktober jeden Tag von 10 bis 14 Uhr eingeschaltet. Die Simulationsrechnungen ergaben immer noch eine Trefferquote von 90 bis 95 Prozent.
„Das reicht für 200 Liter und 70 Grad Temperatur“, sagt Leukefeld. „Damit kann man eine ganze Weile duschen.“ Und es gibt einen weiteren Nebeneffekt: Legionellen sind kein Problem mehr. Während große Zentralheizungsanlagen ständig Heißwasser in die Leitungen drücken müssen, um die Keime abzutöten, erledigt das in den AGW-Häusern künftig die Sonne.
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