Innerhalb der Interview-Reihe, die heute mit dem 3. Gespräch an dieser Stelle vorgestellt wird, spielt das Hören eine zentrale Rolle. Zum einen das Hören auf die Antworten und zum anderen das Hören des Antwortenden zunächst auf sich bzw. in sich.
Sich im Antworten selbst vernehmen zu lernen und doch das Gegenüber dabei nicht zu vernachlässigen, ist keinesfalls in unserer heutigen Gesprächskultur etwas Selbstverständliches. Eher im Gegenteil. Wir schleudern Antworten nur so entgegen – manchmal ungeachtet der fehlenden Frage dazu. Smalltalk und sich in Floskeln und Sprüchen übertrumpfendes Aussagen erzeugt allzu oft die paradoxe Situation zweier oder mehrerer Einzelner, die etwas ins Irgendwo posaunen.
Resonanz wird weder erwartet noch hat man die Geduld, auf einen möglichen Resonanzraum außerhalb meiner eigenen Person zu warten. Dies selbst kann als Ausnahmezustand, als sich selbst ad absurdum führendes „Gesprächsverhalten“ gesehen werden. In einer mehr und mehr geschwätzig gewordenen Smalltalk-Kultur ist es selbst als eine Art Ausnahmezustand zu begreifen, wenn ein Denken und ein Innehalten nicht als Störfaktoren des „Gesprächsflusses“ wahrgenommen werden.
Vielmehr soll der offenen Rede Raum gelassen werden. Offen zu reden setzt eine innere Gelassenheit, ein Mit-sich-Eins-Sein voraus. Wer offen spricht, wagt sich zumindest ein Stückchen heran an den Kern dessen, was ihm seine „innere Stimme“, seine Stimmung zu sagen scheint. Wenn wir verstimmt sind, plagt uns ein inneres Unwohlsein. Wenn wir eine frohe innere Stimmung haben und unser Gemüt ist freudig einstimmig in sich und mit der äußeren Welt, erscheint auch die Welt vernünftig für uns.
Es sollen keine Tabus in der wahren Rede etabliert werden, noch soll bestehenden Tabus (aus welchen Gründen oder Un-Gründen auch immer) Genüge getan werden.
Dieses Gespräch führte ich mit Léon P. – Léon betreibt einen kleinen Sportclub am Rande Leipzigs. Es gibt eine gewisse Verunsicherung bezüglich der Verantwortung, die er Tag für Tag nicht nur für sich und seine Familie hat, sondern für die Sport-Familie, welcher gegenüber er ganz selbstverständlich und unabdingbar sich ebenso zugehörig fühlt und für die er gern und gewissenhaft bestimmte Verantwortungspflichten übernimmt.
Es ist für ihn kaum zu trennen: er selbst und „die anderen“. Man stecke ja gewissermaßen mittendrin in einer schwierigen Zeit, gemeinsam, und das trotz der Vielfalt im Umgang mit einem durch und durch veränderten Alltag.
Seiner Selbstwahrnehmung folgend sind die vergangenen Monate, ja Jahre, voll überschattet von Krisen, die Unsicherheiten und Unregelmäßigkeiten mit sich bringen … Es sind, so Léon, „im Hinblick auf Sport, Kinder, Familie, die Entwicklung … verlorene Jahre.“
Léon, wie geht es Ihnen?
Gut. Wochenendstimmung, wir haben Freitag. Entspannt, es ist alles gut.
Haben Sie sich, Ihrer Selbstwahrnehmung folgend, in dem letzten Jahr verändert?
Für mich, selbst wahrnehmend, denke ich: Ja, durch diese ganzen Maßnahmen, die hier so getroffen wurden bezüglich der Coronakrise. Ich denke, das hat schon viel mit uns gemacht als Einzelpersonen und auch mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Ja, ich denke schon, dass das mit uns etwas macht, etwas hervorruft. Auf jeden Fall hat es eine Veränderung gegeben. Von gewissen Wahrnehmungen der Politik und Wahrnehmungen der zwischenmenschlichen Beziehungen.
Woher wissen Sie das?
Im Speziellen hat uns die Corona-Geschichte als Verein getroffen, weil wir ja von den Zwangsschließungen getroffen waren. Wir durften kein Training durchführen, viele konnten sich nicht mehr sehen. Dann gab es politische Aussagen durch die Regierenden, dass Sachen entworfen wurden und versucht umzusetzen, die dann widerrufen wurden … es gab immer wieder andere News und die Glaubhaftigkeit und das Vertrauen in eine gesunde Politik ist halt irgendwann weggegangen und man muss sich fragen: inwieweit sind die politischen Themen für uns noch interessant und auch noch zu tolerieren.
Viele sagen, man kann die politischen Aussagen nicht mehr ernst nehmen. Das ist immer das Traurige, wo man früher sagte: Okay, ein Grundvertrauen habe ich in unsere Politik und: Die da oben werden das schon richten! Jetzt hat sich das dann so dargestellt und auch immer wieder bewiesen, dass „Die da oben“ eben auch sehr unsicher sind und selber fehlerbehaftet und wollen aber dann Maßnahmen durchdrücken, die sie selber gar nicht so umsetzen und die sie selber auch gar nicht so durchdacht haben, wo man sagen muss: Das ist dann aber auch nicht bis zum Ende durchgedacht. Das bewirkt natürlich immer Konflikte, Aufruhr. (…)
Es entsteht dann ein gewisses Desinteresse. Man baut sich so seinen eigenen Mikrokosmos auf, den man sowieso schon immer hatte und sagt sich, dass man ja selber irgendwie vom Fleck kommen muss und schaut, wo man selber seine Ruhe und seinen Frieden findet und sich eben nicht permanent mit irgendwelchen Nachrichten auseinandersetzt.
Das ist jetzt sehr speziell auf die Corona-Maßnahmen hin geantwortet und wir sind ja jetzt schon im 3. Jahr mit Corona. Aber man kommt ja zwangsläufig immer sehr schnell darauf. Man trifft sich, fragt noch: „Hallo, wie geht’s?“ Gleich kommt dann: „Das kotzt mich an …“ – „Bist du geimpft?“ u.s.w. Das ist es, das uns alle gerade so anpiept. (…)
Es irritiert, es hat am Anfang sehr irritiert und man hat zukunftsorientiert gedacht: wie soll das nur weitergehen? Dann entscheidet, glaube ich, jeder für sich, welchen Weg er geht. Man ist dann halt von der Frustration (in meinem eigenen Fall) umgeschwenkt in Desinteresse und hat sich gedacht: Man kann diese Menschen, die da Politik betreiben, nicht mehr für voll nehmen.
Das ist so meine persönliche Einstellung. Egal von welcher Partei her, es ist wirklich chaotisch. Für mich ist vieles nicht nachvollziehbar. In manchen Sachen machen sie sich sehr gute Gedanken und dann aber wird wieder alles über den Haufen geworfen. So ist meine Wahrnehmung.
Nach außen hin wird alles mit einem falschen Ansatz verkauft: diese Angstmacherei, die Leute immer in Unsicherheit halten, das macht unsicher und zum Teil auch krank und es trägt dazu bei, dass Leute mit anderen Einstellungen sich voneinander trennen und sagen: Ach, du hast diese Meinung, du sagst das und das und du bist geimpft und du bist nicht geimpft … das sind Dinge, wo ich sage: Mensch: das darf uns nicht trennen, es darf uns nicht zerstören.
Das ist eine ganz wichtige Sache. Ich selber bin vollständig geimpft, bin nach meiner vollständigen Impfung nach drei Monaten, im Dezember, an Corona erkrankt. Ich hatte einen absolut glimpflichen Verlauf, hatte eine Nacht mal Schüttelfrost, konnte mich aber nach kurzer Zeit wieder freitesten. Es war bei mir wieder alles in Ordnung. Ich hab da eine andere Wahrnehmung im Umgang mit der Krankheit.
Wir in unserem Verein sind zum Großteil alle geimpft und genesen und wir arbeiten auch immer auf: was sagen die Leute? Die Impfgegner sagen: „Ja, lass dich nicht impfen, weil sonst das und das passiert!“ Ich habe aber das Selbstexperiment gemacht und gesagt: Okay, ich lasse mich impfen, ich werde 52 Jahre alt und ich habe mit ganz vielen Menschen zu tun.
Ich weiß nicht, wie diese Krankheit auf mich wirkt – bin ich stark betroffen, muss ich ins Krankenhaus – kann ich daran sterben? Ich hab der Politik und den Wissenschaftlern und deren Aussage vertraut : „Geh impfen, das hilft dir!“ Ich kann sagen, da ich selber erkrankt war, dass diese Krankheit bei mir sanft verlaufen ist. Das kann ich sagen aus eigener Erfahrung.
… meinen Sie, dass die Krankheit bei Ihnen sanft verlief, weil Sie geimpft waren?
Das denke ich schon, daran glaube ich und nicht nur, weil es gesagt wurde, sondern weil ich das ja auch an anderen Beispielen gesehen habe. Die Leute, die geimpft waren, hatten vollständig, trotz etwaiger Erkrankung, einen leichten Verlauf.
Ein Freund, 75 Jahre alt und sportlich aktiv, hat es zeitgleich mit mir erwischt, hatte auch einen verhältnismäßig leichten Verlauf. Er hatte ein paar Tage Fieber und dann die Krankheit gleich wieder gut abgebaut. Dann war er wieder vollständig gesund, ohne nachwehenartige Long-COVID-Merkmale oder so… Ich kenne aber auch Sportfreunde von mir, die richtig topfit sind, in einem guten Alter, um die 30 Jahre, die an Corona erkrankt sind und die jetzt noch an den Folgen leiden.
Charakterisieren Sie Ihre Zeit! Versuchen Sie das bitte so dicht wie möglich!
Es sind für mich gewisse Parallelen zur DDR-Zeit erkennbar, auch vom Verhalten der Politik – dass man sagt: In dieser Corona-Zeit, dieser Pandemie-Zeit, haben sich viele Politiker sehr ähnlich verhalten wie Politiker in der DDR-Zeit, in ihren Äußerungen, in ihren Maßnahmen, wie sie versuchen etwas umzusetzen. Mit Druckmitteln und, wie Extremisten heute sagen: mit Mitteln einer Diktatur, Leute, die das sehr als Bedrohung empfinden, was politisch angeordnet wird und kommuniziert. Manche vermuten einen Riesen-Plan dahinter oder eben eine Verschwörungstheorie. Das kann man denen vielleicht gar nicht mal so übel nehmen …
Man sollte abwägen und nicht gleich sagen: Du hast völlig unrecht – oder, oder … denn die Einschätzung liegt bei dem Einzelnen. Aber, wenn man meint, dass man eine gewisse Draufsicht oder einen Einblick in die Geschehnisse einer Gesellschaft hat, kann man sich auch wiederum nicht vorstellen, dass es einen großen Plan dahinter geben kann. Aber letztlich weiß man es auch nicht.
Wahrscheinlich haben wir in unserer ganzen Weltgeschichte auch viel Schindluder getrieben: Ausbeutung der Natur, Ausbeutung der Menschen, wir sind an Ressourcen gegangen, haben abgeschöpft – da, wo wir hätten alles erhalten sollen. Da sage ich, man muss halt schauen – es ist schwer: Es ist eine deprimierende Zeit. Es ist deprimierend, man ist enttäuscht, ja man ist wütend.
Ich meine: Es sind verlorene Jahre! Das würde ich im Hinblick auf meinen Mikrokosmos hin sagen, im Hinblick auf Sport, Kinder, Familie, die Entwicklung. Es sind verlorene Jahre. Wir hatten keine sportlichen Veranstaltungen gehabt. Wir konnten nicht regelmäßig trainieren. Wir konnten kaum gemeinsame Aktivitäten durchführen. Es war alles mit Auflagen immer behaftet und Urlaub haben wir nicht gemacht, weil es uns einfach zu unsicher war.
… eine unsichere Zeit …
Unsicher, ja! Man weiß ja nicht, wie es denn in dem anderen Bundesland ist. Dem wollte ich mich nicht aussetzen. Auch, wenn ich geimpft bin – man weiß es ja trotzdem nicht. Es ist alles zu unsicher. Keiner kann konkret was sagen.
Welche Rolle spielen Sie in der von Ihnen geschilderten Zeit?
Ich versuche, das Beste daraus zu machen. Ich versuche alle Möglichkeiten zu nutzen, damit wieder Gemeinschaft entsteht in unserem Bereich, dass wir wieder gemeinsam aktiv werden können, dass wir uns gemeinsam treffen und immer versuchen, alle gleich zu behandeln. Wir sind ja hier ein riesengroßer kunterbunter Haufen und da gibt es natürlich Leute, die nicht geimpft sind, es gibt Leute, die geimpft sind und jeder hat seine eigene Interpretation.
Es gibt viele Leute, die sich auch aus religiösen Gründen nicht impfen lassen und sagen: da ist was Tierisches dran oder, oder … ich weiß es nicht. Damit muss man sich auch auseinandersetzen ohne die Person zu negieren und zu sagen: Es ist nicht richtig, was du sagst. Wir versuchen, jeden zu verstehen. (…)
Aber es ist auch irgendwo mal Schluss. Wenn man jetzt denkt: 100.000-mal boostern, boostern … wo fängt das an und wo hört das auf? (…)
Es ist halt eine neue Zeit und man fragt: wie geht man damit um? Was können die Wissenschaftler so schnell wie möglich entwickeln an Wirkstoffen, die effektiv diese Krankheit bekämpfen? Aber wir sind, wie gesagt, erst am Anfang.
Viele sagen, so eine Pandemie dauert mindestens fünf Jahre. Wir sind jetzt im dritten Jahr. Es wird hart und schwer, wenn man denkt, dass noch mindestens zwei Jahre vor uns liegen. Wir haben zwar jetzt die ganze Zeit verhältnismäßig gut durchgestanden, aber es schlaucht immer mehr. Es zieht Kraft. Es ist ja auch diese mentale Geschichte, die uns auch auffrisst …
„Im Gespräch mit Konstanze (3): Das Interview als Technik des Wahrsprechens – die offene Rede“ erschien erstmals am 24. Juni 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 103 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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