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Der Leipziger Künstler und Architekt Bernd Sikora wird 80 Jahre alt und blickt auf ein spannendes Leben zurück - Leipziger Volkszeitung

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Ohne

Bernd Sikora wäre das Leipziger Waldstraßenviertel heute nicht halb so prächtig wie es ist. Dem Grassimuseum hat er seine Pfeilerhalle zurückgegeben und den sogenannten Plastikpark gegenüber dem neuen Rathaus entworfen. Ganz abgesehen von seinen fast 20 Büchern, für die sich der Leipziger Künstler und Architekt deutschlandweit tief in Archive grub und sogar bis nach Hermannstadt in Rumänien fuhr. Am 18. August wird der „Künstler unter Leipzigs Architekten“ 80 Jahre alt. Die LVZ sprach mit ihm.

Sie stammen aus einer Kaufmanns- und Fabrikantenfamilie im

Erzgebirge. Ihre Eltern sind in den Westen gegangen, weil sie enteignet und verfolgt wurden. Warum sind Sie im Osten geblieben?

Weil ich in

Leipzig kurz vor dem Abschluss meines Architekten- und Hochbaustudiums stand. Und weil es Konflikte zischen meiner Familie und der reichen westdeutschen Verwandtschaft gab. Ich bereue es nicht, beide Systeme kennengelernt zu haben. Das ermöglicht Einsichten, die nicht jeder haben kann.

Und wie hat es Sie nach

Leipzig verschlagen?

Ich hatte mit 16 in einer erzgebirgischen Zeitung eine Annonce der Leipziger Ingenieurschule für Bauwesen entdeckt, die noch Studenten suchte. Nach fünf Tagen Aufnahmeprüfung war ich angenommen. Außerdem war

Leipzig damals für alle Westsachsen ein magischer Ort der Kultur- und Kunstszene.

Warum?

Zum Beispiel wegen seiner berühmten Gelehrten wie

Gottfried Wilhelm Leibniz oder Musikern wie Johann Sebastian Bach und Gustav Maler. Aber natürlich auch wegen der Strahlkraft der Stadt. In meiner Heimatstadt gab es nur rauchende Schornsteine und durch den Bergbau versinkende Häuser. Direkt vor dem Fenster meiner kleinen Dachkemenate war der Rauch des Schornsteins des größten sächsischen Steinkohlebergwerks zu sehen. Und nach Kriegsende das Lager für Gefangene, die im Bergbau arbeiten mussten. Da wollte ich raus.

Woran haben Sie in

Leipzig zuerst gearbeitet?

An der Komplettierung der Gebäude-Hauptfront der

DHfK in der Jahnallee. Ich durfte dann auch die Anzeigetafel auf dem Damm des Zentralstadions entwerfen und den Bau leiten. Aber nach fünf Jahren war es damit vorbei. Man hatte die Vielzahl meiner Westverwandten entdeckt. Dann durfte ich nur noch Objekte wie einen Konsum in Liebertwolkwitz einrichten.

Sie hatten damals auch in Kontakt mit Größen wie

Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke. Wie kam es dazu? Wolfgang Mattheuer war meine Rettung. Er riet mir, mich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst zu bewerben. Sie war eine Art Enklave, die vor äußeren politischen Einflüssen weitgehend schützte. Durch ihn und Jutta Hellgrewe lernte ich Querdenker wie die Fotografin Evelyn Richter kennen und über sie die große Musikszene der Welt. Das war mein Einstieg als Grafiker.

Als Grafiker?

Ich habe Plakate, Programmhefte, Kataloge fürs Gewandhaus und den Sender

Leipzig entworfen. Außerdem Handlungen zu klassischer und moderner Musik für die Komische Oper Berlin geschrieben, die dann szenisch umgesetzt wurden. Der Erfolg war groß, aber der politische Ärger war noch größer – und damit diese Arbeit beendet. Dafür ging es mit der Leipziger Studentenbühne weiter, unter anderem mit Jürgen Hart. Damals kam es auch zu Projekten wie die Giebelmalerei „Hund und Katze“ an der Prager Straße oder die Aktionen für bemalte Trafostation in Grünau.

Bekannt geworden sind Sie vor allem durch das 1975 begonnene und 1987 endlich erschienene Buch „Leipziger Landschaften“, das heute als eines der wichtigsten umwelt-kritischen Bücher der Vorwendezeit gilt.

Zusammen mit

Peter Guth und Norbert Vogel wollte ich auf die gänzliche und teilweise Vernichtung von mehr als 60 Ortschaften südlich von Leipzig aufmerksam machen. Natürlich riefen wir damit die Zensur auf den Plan. Das Buch musste viele Male verändert werden – begleitet von unserem Widerstand. Es kam zu Druckverboten und erst in der Gorbatschow-Zeit durfte es in die Buchhandlungen. Der Druck war auch möglich geworden, weil es Interesse im Westen gab und so mit dem Buch Devisen eingenommen werden konnten.

1989 haben Sie sich für grundlegende Veränderungen im Bereich des Bauens und der Künste engagiert. Profitiert hat davon vor allem das

Waldstraßenviertel. Wie kam es dazu?

1988 konnten wir Künstler und Kunsthistoriker auf den Verfall dieses deutschlandweit einmalig erhaltenen Gründerzeitviertels aufmerksam machen und sogar die Kulturspitze der Leipziger

SED für den Notstand sensibilisieren. Dadurch konnten wir 1990 fachliche und finanzielle Unterstützung aus Westberlin organisieren. Das war die Initialzündung zur Rettung des Viertels, der sich sehr bald auch Vertreter der neuen Stadtverwaltung anschlossen.

Haben sich die Anstrengungen gelohnt?

Das

Waldstraßenviertel ist heute nicht nur eine Touristenattraktion, sondern wird auch von der jungen Bewohnergeneration angenommen, ja sogar geliebt. Auch viele Freiberufler haben das Viertel für sich entdeckt und damit ist aufgegangen, was wir wollten: Unser Konzept sah ein lebendiges Stadtgebiet mit Läden, Arbeitsstätten für Freiberufler und attraktiven, aber nicht überstylten Wohnungen vor. Heute bedaure ich Entwicklungen, die diese Lebendigkeit beginnen zu zerstören.

Zum Beispiel?

Durch unausgereifte Verkehrsführung. Was nutzt eine freie Hauptstraße, wenn der Verkehr sich in einem Gemenge von Rad- und Autofahrern durch Nebenstraßen zwängt?

Sie engagieren sich immer noch für

Leipzigs Fließgewässer. Beim Streit um die Revitalisierung des Pleißemühlgraben gehörten Sie zu jenen, die vehement für den bestehenden Verlauf eingetreten sind, was das Rathaus nicht wollte ...

Neben dem alten Verlauf hätte eine natürliche Wegeverbindung zwischen dem Rosental und dem Stadthafen für Fußgänger und Radfahrer geschaffen werden können – ohne dabei altertümelnd zu wirken. Ich halte es für einen Skandal, dass sich die Leipziger Stadtverwaltung gegen das Votum der Bürger ausgesprochen hat. Seitdem ist mein Vertrauen in ein kooperatives Zusammenwirken der Verwaltung mit der Bürgerschaft gestört.

Es gibt nicht wenige Leipziger, die kaufen jedes Ihrer Bücher. Was schreiben Sie gerade?

Nach dem aufwendigen Verlegen meiner Erinnerungen „Balanceakte“ kommt jetzt mein erster Roman „

Siebenhöfen“ in die Buchhandlungen. Er spielt um 1800 und macht die Zeit des Entstehens der ersten Fabriken im Erzgebirge und das damalige Leben dort und in Leipzig lebendig. Aktuell arbeite ich an der Publikation „Industriearchitektur in Sachsen im Kontext der europäischen Entwicklung“, ebenfalls im Mitteldeutschen Verlag. Bei einem Auftrag aus Wiesbaden lautet der Arbeitstitel „ Walter Gropius – fiktive Spaziergänge mit dem Bauhausdirektor durch Weimar und Dessau“. Ich schildere damit meine Sicht auf das Bauhaus – dem ich sehr verbunden bin – und will die Leistungen der damaligen Schule aus der Zeit heraus verständlich machen. Also sie nicht auf dem Opferstock von sensationssüchtigen Autoren legen, wie es gerade in Deutschland geschieht. Der Text ist fast beendet.

Wer Ihre Bücher liest hat den Eindruck, dass sie immer freizügiger werden. Woran liegt das?

Das Sinnliche spielt im Leben eine große Rolle. Es ist ein Zeichen meiner inneren Freiheit und der Freude beim Schreiben.

Gibt es etwas, was Sie im Rückblick bedauern?

Ich bedauere, dass ich nicht mehr Zeit mit meinem viel zu früh verstorbenen Lebensgefährten verbringen konnte.

Und was macht Sie besonders stolz?

Dass viele Leute zu mir kommen und sich meine Bücher signieren lassen. Und dass es mir gelungen ist, verhältnismäßig gesund zu bleiben. Dadurch kann ich auch mit 80 Jahren noch über weitere Projekte nachdenken, zu denen mich nachdenkende Leute inspirieren.

Bernd Sikora: Siebenhöfen. Roman. Mitteldeutscher Verlag; 320 Seiten, 20 Euro

Sehen Sie hier einen Rundgang mit

Bernd Sikora durch die alte Sternburgbrauerei.

Der Bildband „ Leipzigs schönste Häuser. Vom Jugendstil bis zur Moderne“ von

Bernd Sikora und Peter Franke ist im Passage Verlag erschienen.

Von

Andreas Tappert


August 18, 2020 at 01:05PM
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