
Thomas Dreßen im Training am vergangenen Freitag
Foto: Alexander Hassenstein / Getty ImagesKira Weidle ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die 24-Jährige hat mit ihrem imposanten Abfahrtsritt zu WM-Silber auch deshalb für so großen Jubel beim Deutschen Skiverband gesorgt, weil die Medaille so unerwartet kam. Denn eigentlich ruhen die Hoffnungen des DSV überhaupt nicht mehr auf den Schultern der Frauen, wie sie es über Jahrzehnte taten.
Heute hat der DSV ganz andere Medaillenkandidaten. Und zwar, was vor einigen Jahren noch undenkbar schien: die Männer. Es herrscht ein völlig neues Rollenbild im deutschen Alpinbetrieb.
Das Trio Weidle-Filser-Dürr ist nicht nur das kleinste Frauen-Aufgebot, das der DSV in der Nachkriegsgeschichte für eine Alpin-WM nominiert hat. Es ist auch das erste Mal seit Jahrzehnten, dass keine erklärte Mitfavoritin dabei ist. Weidle hatten nur wenige Insider auf dem Zettel, wahrscheinlich war die Starnbergerin selbst eine von ihnen, die an die Medaillen geglaubt haben.
Früher war das anders, zu den Zeiten von Katja Seizinger und Hilde Gerg, Martina Ertl und Kathrin Hölzl, Maria Riesch und zuletzt Viktoria Rebensburg, irgendeine Titelkandidatin gab es im deutschen Lager immer. Doch der überraschende Rücktritt von Rebensburg, der Olympiasiegerin und zweifachen Vize-Weltmeisterin im Riesenslalom, riss vergangenen Sommer eine Lücke.
DSV-Alpin-Chef Wolfgang Maier sprach von einem »Worst-Case-Szenario«, Frauen-Cheftrainer Jürgen Graller prophezeite, man müsse nun »kleinere Brötchen backen«. Dabei kommen die Probleme nicht überraschend. Es war nur so, dass die Triumphe der Erfolgsfahrerinnen die stockende Entwicklung im Rest des Kaders überdeckten. Zwischen 2010 und 2014 holten Höfl-Riesch und Rebensburg im Weltcup mehr als 75 Prozent aller Punkte für die DSV-Frauen. Nach Höfl-Rieschs Rücktritt wurde es ab 2014 eine One-Woman-Show, als Rebensburg trotz zweier schlechterer Jahre mehr Punkte holte als 15 deutsche Rennläuferinnen zusammen. Jetzt könnte Weidle diese Rolle übernehmen.
Maier sagte bereits 2015, es fehle an Athletinnen, »von denen du das Gefühl hast, sie sind zum einen talentiert genug, um wirklich nach ganz vorne zu kommen, und sie haben zum anderen die nötige Härte.« Inzwischen blickt Maier mit verhaltenem Optimismus in die Zukunft, es rücke so manches Talent nach. Etwa Anna Schillinger, Jahrgang 2001, die zuletzt in Garmisch mit Rang 42 in der Abfahrt ihr Weltcup-Debüt feierte. Der Weg ganz nach oben ist aber noch weit.
Ganz anders die einst so chronisch erfolglosen Männer, bei denen in diesem Jahrtausend lange allein Felix Neureuther im Slalom regelmäßig Spitzenergebnisse feierte. 2014 stand im DSV sogar die Auflösung der Männer-Mannschaft in Abfahrt und Super-G im Raum – bis Christian Schwaiger als Speed-Trainer übernahm und seine Mannschaft in die Erfolgsspur kam. Auch wegen des richtigen Schwungs.
»Als ich bei den Männern anfing, war ich erschrocken über die technischen Defizite«
Der Österreicher Schwaiger, einst als Ski-Profi in den USA und Japan unterwegs, war 2006 zum DSV gekommen, acht Jahre trainierte er die Frauen um Höfl-Riesch in Slalom und Riesenslalom. »Als ich dann 2014 bei den Männern anfing, war ich erschrocken über die technischen Defizite«, sagte Schwaiger dem SPIEGEL Anfang der Woche am Telefon. »Gerade beim Riesenslalom-Schwung haperte es, dabei ist genau das der Basis-Schwung für jede Disziplin, auch für die Abfahrt. Deswegen haben wir das trainiert bis zum Umfallen.«
Auch im konditionellen Bereich setzte Schwaiger an und strich die kompletten Gewichtseinheiten in der Kraftkammer. »Es bringt nichts, wenn du mit einem Riesenberg an Muskeln herumfährst. Viel wichtiger war mir das Grundlagen- und Ausdauertraining, um Regeneration und Erholungsfähigkeit zu optimieren.« Vor allem aber schuf Schwaiger, der 2019 zum Cheftrainer des gesamten Männer-Teams aufstieg, mit den Jahren auch ein neues Gemeinschaftsgefühl. Über sich selbst sagt der 52-Jährige, er sei »hart, aber ehrlich.«

DSV-Coach Christian Schwaiger: Hart, aber ehrlich
Foto: Michael Kappeler / dpaThomas Dreßen erzählte einmal, dass es gedauert habe, bis er mit Schwaigers Art zurechtkam, und dass es einige kontroverse Aussprachen untereinander gab. »Der Thomas wollte immer mit dem Schädel durch die Wand«, sagt Schwaiger, »aber das ist eben der Lernprozess von jungen Athleten, die sich auch mal eine blutige Nase holen müssen. Mit den Jahren hat er gelernt, wie er das schlauer angehen muss.«
Nicht nur den Dialog mit ihm, sondern auch die Fahrt auf der Piste. Bei seinem Weltcup-Debüt im Februar 2015 fuhr Dreßen noch auf Platz 39, dreieinhalb Sekunden hinter der Bestzeit. Keine drei Jahre später triumphierte er auf der Streif in Kitzbühel.
Auch Josef Ferstl, der Hahnenkamm-Sieger im Super-G 2019, reifte dank Schwaiger zum Siegfahrer. In Cortina fehlt er nach seinem schweren Sturz bei der Heim-Abfahrt in Garmisch, als er sich einen Muskelbündelriss und einen Bruch im Sprunggelenk zuzog. Mit dabei ist dafür Andreas Sander, der 2008 als Junioren-Weltmeister im Super-G als Hoffnung für die Zukunft galt, sich aber erst unter Schwaiger als Top-Ten-Fahrer etablierte. »Für die Entwicklung in die Weltspitze bedeutet ein Junioren-WM-Titel gar nichts«, so Schwaiger. »Das darf man nie überbewerten. Der Weg nach oben ist knüppelhart.«
Schwaiger weiß das aus seiner eigenen Familie. Seine Tochter Julia war 2014 Junioren-Weltmeisterin im Biathlon, 2015 debütierte sie im Weltcup – und blieb seitdem ohne Podestplatz. Am Wochenende startet sie bei der WM in Pokljuka.
Bei der Männer-Abfahrt am Sonntag sind nun Dreßen, Sander und natürlich Romed Baumann die großen Hoffnungen. Baumann, der einst im österreichischen Verband ausgemustert wurde, seit 2019 für den DSV startet und der am Donnerstag als »Tiroler Leihgabe« (ORF-Kommentator Oliver Polzer) mit Silber im Super-G die erste deutsche Medaille in Cortina holte. Es soll nicht die einzige bleiben für die deutschen Männer bei dieser WM.
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