Dieser Text erschien in seiner ursprünglichen Version zur Erstausstrahlung des »Tatort« am 21. Februar 2021.
Das Szenario:
Das Virus der Wut ist im Umlauf, und es ist hochinfektiös. Das Dortmunder Ermittlerteam kriegt die gesellschaftliche Spaltung zu spüren, als es den Mord in einer Hochhaussiedlung untersucht. Nachdem Bönisch (Anna Schudt) einen jungen Iraker festgenommen hat und dabei mit Handys gefilmt wurde, wird sie von der rechten Szene als Law-and-Order-Heldin gefeiert und in der linken als Rassistin gebrandmarkt. Kollege Faber (Jörg Hartmann), der sich gerade in Bönisch zu verlieben begonnen hatte, ist keine große Hilfe: Er besäuft sich vor dem umkämpften Wohnblock mit einem Ladenbesitzer, der während des ersten Corona-Lockdowns pleitegegangen ist. Hilflos schaut er mit an, wie Maskenmobs aus verschiedenen Lagern aufeinander losgehen.
Der Clou:
Stell dir vor, wir haben eine Pandemie, und keiner versucht das im »Tatort« zu verbergen: Dieser Krimi entstand im Corona-Spätsommer 2020; anders als in den meisten Fernsehproduktionen dieser Zeit gab man sich keine Mühe, Masken und weitere reale Hygienemaßnahmen aus dem Bild zu verbannen. Stattdessen speist man die Pandemie-Accessoires in das Krisenszenario einer Gesellschaft ein, die sich selbst zerfleischt. Der Realitätsbezug ist stark – die politische Analyse eher schwach.
Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) mit dem Kollegen Jan Pawlak (Rick Okon): Was tun gegen den Hass?
Foto: Martin Menke/ WDRDas Bild:
Faber kurvt allein zu trauriger Klaviermusik mit dem Auto an Altbauruinen und Neubautristesse im Dortmunder Stadtbezirk Scharnhorst vorbei. Auf dem Beifahrersitz hat er kalt werdende Nudeln vom Asia-Imbiss stehen, die er eigentlich der Kollegin Bönisch mitgebracht hatte.
Der Dialog:
Faber trinkt mit einem Arbeitslosen Schnaps aus kleinen Buddeln, im Hintergrund ein pleitegegangener Computerladen.
Faber: »Wie lange wollen Sie eigentlich noch in Ihrem alten Laden wohnen? Irgendwann erwischt man Sie.«
Arbeitsloser: »Ich bewerb mich bei allen, die einen mit Anfang 50 noch nehmen. Dazu brauch ich eine Adresse und einen Briefkasten. Ich zieh nicht in eine Notunterkunft am Arsch der Welt. Und Sie? Kein Zuhause?«
Faber: »Ist gerade keiner da, nee.«
Der Song:
»Sunshine Reggae« von Laid Back . »Gimme just a little smile« heißt es in der unverwüstlich durch die Jahrzehnte plärrenden Sangria-Hymne. Tatsächlich schenkt Bönisch Faber ein kleines Lächeln bei der morgendlichen Fahrt ins Revier. Der einzige sonnige Moment in diesem Corona-Krimi, bei dem Faber mit ansehen muss, wie Bönisch eine Affäre mit einem Kollegen aus der Forensik beginnt. Später zitiert Faber halb ironisch, halb geknickt die Lassie Singers: »Pärchen verpisst euch, niemand vermisst euch!«
Die Bewertung:
6 von 10 Punkten. Gegen diesen Hass hilft keine Hygienemaßnahme: handfestes, streckenweise zu grobes Gesellschaftsszenario über Spaltungsprozesse in Zeiten der Pandemie.
Die Analyse:
»Tatort: Heile Welt«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick
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